Ekkehard Schlichtenhorst erwartete mich am Gate! „Wo ist dein Koffer?“, fragte er. „Ach, Ekkehard, der ist nicht mitgekommen! Keiner weiß, wo er ist!“, jammerte ich und war erschöpft.
Nach 15 Stunden Flugzeit war es mir egal! Ich nahm meinen kleinen Reiserucksack und verstaute ihn in seinem Wagen.
Ich hatte keine Lust noch mal 15 Stunden auf meinen Koffer zu warten. Ich hatte mein Reisepass, meine Kreditkarte – aufgefüllt von meinem Mann – und meine Lupenbrille! „Hola Bolivia! Soy de Alemania!“, dachte ich.
Ekkehard fuhr mich in das Hostel der Voluntarier in Sucre und erzählte mir dabei Anekdoten über Land und Leute.
„Die anderen erwarten Dich schon!“, sagte er als wir in die Straße des Hostels einfuhren.
Das Zimmer wurde mir zugeteilt. Dann lernte ich meine Mitstreiter kennen. Mit Tini und Lena war es „die zahnmedizinische Liebe auf dem ersten Blick!“ Sie waren in meinem Team und ich dachte: „Dein Bauchgefühl hat Dich nicht getäuscht! ….das passt!“ Obwohl wir Fremde füreinander waren, hatte ich das Gefühl, daß Bolivien uns zu Freunden machen würde!
Dann lernte ich noch Anna und Jana kennen. Sie waren Michi, dem anderen Zahnarzt zugeteilt, der in zwei Tagen ankommen und hoffentlich meinen Koffer mitbringen würde. Manchmal ist der eigene Gedanke, die einzige Hoffnung, die man hat…..
Nach dem Einzug ins Hostel ging es zum Pizzaessen in ein stadtbekanntes Lokal. Die Pizza wurden als Pizzahörnchen gereicht!
„Aber andere Länder andere Sitten!“, dachte ich. Als Hermann Hesse meinte: „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne!“, meinte er diesen Abend. Er war sehr informativ und lustig – und doch merkte man bei jedem Teilnehmer, daß er nicht wußte, worauf er sich einließ!
Die Nacht war kalt und einsam – und ich sehnte mich ins warme Unterfranken zurück. Der Morgen kam und damit auch die „bolivianische Wärme“ zu dieser Jahreszeit! Das Frühstück nahmen wir im Hof des Hostels ein.
Dann kam Edwin, unser zuverlässiger Fahrer, nahm das ganze Equipment in seine Pick-up und fuhr uns zu der Schule, die für die nächsten zwei Wochen unsere zahnmedizinische Heimat sein würde.
Das Lehrerkollegium und die Schüler waren sehr hilfsbereit und trugen das ganze Equipment in einen für uns vorbereiteten Raum.
„So, das ist also Deine Wirkungsstätte in den nächsten 14 Tagen! ….spartanisch…karg… aber jeder wählt sein Schicksal selber!“, dachte ich.
Die ersten vorsichtigen Schüler betraten den Raum und nahmen Platz bei den Gringos aus der westlichen Welt!
Tini und Lena fingen sofort an mit Limpiezas (Zahnreinigung) bei den kleinen Grundschülern. Für diese Behandlung gab es keine Absaugung und die Kinder mussten immer wieder in den bereitstehenden Eimer ausspucken.
„Für Limpiezas bin ich nicht nach Bolivien gekommen!“, dachte ich und nahm mir die größeren Schüler vor.
„Oh, mein Gott! Ich habe noch nicht so viel kariöse Zähne auf einmal gesehen!“, dachte ich mir. Der Vormittag verging im Flug – mit Füllungen und Extraktionen! Der Zuckerkonsum bei den Kindern war enorm – dementsprechend die Karies! Wir konnten es einfach nicht nachvollziehen, daß es zwei Süßigkeitenstände in der Schule gab!
Die Mittagspausen waren mit 2 Stunden gut angesetzt. Wir nahmen es gerne an, um uns besser kennenzulernen und trollten uns in den Cafés von Sucre. Der Nachmittag war mit den höheren Schülern auch gut besucht und so war „Langeweile“ ein Fremdwort für uns. Der Abend kam und damit die Gewissheit, daß kein Koffer auf mich warten würde. Darum nahm ich Tini und Lena bei der Hand und unternahm mit ihnen eine Shopping-Tour auf dem Mercardo Central. Alpaka-Kleidung gegen die nächtliche Kälte, eine Nivea-Creme als Kosmetikersatz, ein Duschgel und ein paar „bolivianische Tangas“ waren unsere Ausbeute. Zum Glück lieh mir Lena eines ihrer Handtücher. „Das Genie findet sich in der Beschränkung!“, dachte ich mir. Und das es im Leben alles so sein muß, war mir eh klar!
Anschließend trafen wir uns im Café Central zum gemeinsamen Abendessen mit Ekkehard, Jana und Anna. Wir sprachen über die Ereignisse des Tages und nahmen schließlich einen „Absacker“ auf der Dachterrasse des Hostels.
Den eigentlichen Bustransfer zur Schule am nächsten Morgen ersetzten wir durch ein einheimisches Taxi, da diese die unsagbaren Odyssen durch Sucres Strassen negierten. Der Behandlungsverlauf verlief ziemlich zäh bis wir uns bei dem Schuldirektor vorstellten. Danach teilten die jeweiligen Lehrer die Schüler ein und die nächsten Tage waren voll Arbeit, aber auch sehr viel Spaß an derselbigen. Die Dankbarkeit und die sympathische Offenheit die uns entgegen schlug, waren aller Mühe wert.
Am ersten Freitag, so wurde uns mitgeteilt, war der Nationalfeiertag. Damit war die Schule geschlossen und wir entschieden uns für einen Ausflug in die Salar de Uyuni zu machen.
Wir nahmen am Donnerstagabend den Übernachtbus und trafen unseren Guide für die Salar de Uyuni. Eine Landschaft kaum in Worte zu fassen!
Die Tour war gut organisiert und wir waren trotz der Kälte einfach nur dankbar, diesen Landstrich am anderen Ende der Welt sehen zu dürfen! Die eiskalte Übernachtung im entsprechenden Hostel überlebten wir nur in Thermoschlafsack, Alpakakleidung und den Ausdünstungen der Schuhe unserer Zimmerkollegen (Danke, Michi! ;-)))!
Die zweite Woche begann und man merkte gleich die bessere Organisation der Behandlung durch die Schulleitung! Die Kinder waren sehr interessiert an unserer Tätigkeit und unterstützten uns, wo es nur ging! Sei es Material tragen, sei es absaugen, sei es die anderen Kinder zu motivieren! Die Unterschriften für Extraktionen von den Eltern oder für Waisen von der Schulleitung lagen parat.
„….und auch wenn es nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist, um die Welt zu retten, so ist es trotzdem meiner!“, dachte ich bei mir. Die zweite Woche verging wie im Flug mit vielen Behandlungen und tollen, Erlebnissen!
Das darauffolgende Wochenende buchte sich unser Team auf einen Inka-Trail ein. Das hieß nun Abschied nehmen von Team 2, da diese einer anderen Stadt zugeteilt wurden. Schweren Herzens nahmen wir Abschied von Michi, Anna und Jana! Unser nächstes Ziel war der Inka-Trail, den wir über Café Condor gebucht hatten. Der Inka-Trail war eine Wanderung über 34 km (!) unbefestigten Gelände und wir legten über 1000 Höhenmeter zurück! Faszinierende Höhen, zerklüffte Bergwelt und immer wieder einsame Bauernhöfe in den Zeiten des Mittelalters waren unser Lohn für unsere Strapazen!
In Sucre wieder angekommen bereiteten wir uns auf unsere nächste Herausforderung vor – Padilla!
Wir nahmen mit all unserem Equipment und Ekkehard am Sonntagabend den Bus nach Padilla! Wir erreichten Padilla nach 5 Stundenfahrt!
Die Kleinstadt mit 3300 Einwohnern lag vor uns, als Dr. Adilit, vom zahnärztlichen Dienst des hiesigen Krankenhaus, uns empfing!
Unser gewaltiges Equipment (Steri und zwei Behandlungsstühle) wurde noch am Abend in der Schule verstaut.
Danach ging es zu unserer Unterkunft, die sehr einfach war. Aufgrund des fehlenden Regens in der Winterzeit, gab es kein fließendes Wasser in der gesamten Stadt! So wurde in den nächsten Tagen der Toilettengang schon zu einer Herausforderung!
Der gesamte Ort war WLan-freie Zone. Aber die Einheimischen waren sehr nett und aufgeschlossen. Das Essen vor Ort war die PAP-Diät. Es gab Patatas (Kartoffeln) mit Arroz (Reis) und Pollio (Huhn) oder es gab Pollio mit Arroz und Patatas!
Das Odontomobil der ansässigen Klinik trug nur den Namen der zahnmedizinischen Kunst. Die Ausstattung war eher dürftig. Unsere Zahnstation in der Schule war schon besser bestückt. Die Arbeit in den nächsten Tagen machte uns sehr viel Spaß. Die Zahnreinigungen in diesem abgelegenen Ort waren nahezu überflüssig. Wir – und vor allem Tini und Lena – stürzten sich unter meiner Anleitung auf die zahlreichen kariösen Zähne. Extraktionen und Füllungen waren unser täglich Brot!
Die Zahnärzte vor Ort waren stets bemüht, uns das Leben angenehm zu gestalten!
Leider war nach einer Woche meine Mission „Padilla“ bereits beendet.
Ich bestieg den Überlandbus nach Santa Cruz. Die nächsten 15 Stunden verbrachte ich mit Ziegenhirten und Landwirten, mit netten Einheimischen und geruchsintensiven Tagelöhnern.
Als der Bus nach sechs Stunden am Straßenrand stoppte und der Busfahrer "Banjo“ (Toilette) rief, gab es auch für mich nur diese eine Möglichkeit!
Die Busfahrt hatte etwas von Nah-Tod-Erfahrung als es über abschüssige, ungesicherte Strassen ging.
Als der Bus nach 15 Stunden hielt, stand ich auf einmal mit meinen zwei Rucksäcken am Busterminal mitten in den Favelas von Santa Cruz. Ich nahm mir ein Taxi in Kombiformat und setzte mich hinter den Fahrer. Dieser brachte mich unter lautem Gespräch bis in mein Hotel Boutique Sense in Santa Cruz.
Welch eine Freude! Am Ende der Reise genoß ich die 1,5 Tage im puren Luxus – mit warmer Dusche, sauberer Bettwäsche und so manchen Caipi auf der Dachterrasse des Hotels.
Endlich konnte ich zum Schlafen die drei Lagen Alpaka-Kleidung abstreifen.
Der Rückflug war komplikationslos ….und siehe da – ich fand sogar am Flughafen in Santa Cruz meinen Koffer wieder. Unversehrt und vor allem unbenutzt!
Dieser Aufenthalt in Bolivien war sehr faszinierend und wird mich ein Leben lang prägen!